Verhaltensauffälligkeiten und Schulverweigerung bei Hochbegabten
30. November 2024
Stell dir vor, du bist Lehrkraft an einer Grundschule. Du hast ein Kind in deiner Klasse, welches über Tische und Bänke geht. Es stört ständig den Unterricht, beschäftigt sich mit anderen Dingen und ist kaum zu bremsen. Du kannst nicht behaupten, dass dieses Kind den Schulstoff nicht versteht. Aber durch sein Verhalten zweifelst du an seinen Fähigkeiten und der Motivation. Du weißt nicht genau, wie du mit diesem Kind umgehen sollst. Vor allem sorgst du dich aber um die anderen Kinder, dass sich diese zu sehr ablenken lassen. Und da ist noch der Unterrichtsstoff, den du irgendwie durchbringen musst. Doch von Verhaltensauffälligkeiten und Schulverweigerung bei Hochbegabten hast du noch nie etwas gehört.
Möglicherweise kommt dir diese Situation bekannt vor. Woran denkst du zuerst? Vielleicht überlegst du, ob du hier ein ADHS-Kind vor dir hast. Das wäre naheliegend. Denn ein wildes Kind, welches sich schlecht konzentrieren und seine Impulse nicht kontrollieren kann, ist symptomatisch für dieses Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Doch es kann auch eine Auswirkung von Langeweile und Unterforderung sein. Gerade Kinder in der Grundschule können sich noch nicht entsprechend artikulieren, also verhalten sie sich nach Gefühl und nach ihren Impulsen.
Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten und in der Grundschule
So erging es auch uns. Unser Sohn war bereits im Kindergarten auffällig. Einiges davon berichte ich auch in meinem Buch "Hochbegabt gescheitert - und neue Türen öffnen sich". Er stellte die verrücktesten Dinge an. Einmal drehte er beispielsweise alle Wasserhähne im Gemeinschaftsbad gleichzeitig an oder versenkte ein Marmeladenglas im Kakao. Das machte er selten aus böser Absicht, sondern er war einfach neugierig, was passiert, wenn er das macht. Er wollte entdecken, welche Bestandteile der Sandkasten hat, also baute er ihn auseinander. Oder wollte wissen, wie der Teich sein Wasser bekommt. Also grub er den Schlauch aus, der unterirdisch direkt zum Haus führte.
Im Kindergarten beschäftigte er sich am liebsten allein in der Bauecke und konstruierte etwas. Malen und Basteln waren nicht sein Ding. Mit anderen Kindern spielte er selten. Seine Neugierde stillte er, indem er die Erzieherinnen mit seinen Fragen wie eine Zitrone auspresste und sie dann links liegen ließ, als er genug gehört hatte. Er drehte sich mitten im Satz um und ging.
Nonkonformes Verhalten im Unterricht bei ADHS
Die Regeln waren ihm alle bewusst, er konnte sie auswendig aufsagen. Doch er hielt sich selten daran, wenn sie für ihn keinen Sinn machten. Und aus Fehlern lernte er schon gar nicht. Also führte uns der Weg nach einem Elterngespräch zunächst in die Erziehungsberatung. Diese lief ins Leere, da unser Sohn einfach alles geschickt aushebelte. Der zweite Weg führte uns auf Empfehlung der Erzieherinnen schließlich in die Diagnostik. Und wie es sein sollte, erhielten wir die Diagnose ADHS und Impulskontrollstörung. Das war kurz vor Beginn der Grundschule.
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Also wurde die Lehrerin direkt mit einem Kind konfrontiert, welches den Stuhlkreis morgens komplett aufmischte. Glücklicherweise kannte sie sich mit ADHS aus, ebenso erkannte sie die besondere Begabung unseres Sohnes. Im Rahmen der ADHS-Diagnose wurde er einem Intelligenztest unterzogen und erhielt das Ergebnis einer überdurchschnittlichen Begabung. Dass dies alles aber eng mit dem Thema Verhaltensauffälligkeiten und Schulverweigerung bei Hochbegabten zu tun hat, war uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.
Damit war das Thema Begabung vom Tisch und alle Beteiligten fokussierten sich auf die ADHS-Problematik. Du wirst nicht glauben, was wir viele Jahre später von einem anderen Psychologen in einer letzten Diagnostik zu hören bekamen. Aber dazu später mehr.
ADHS als Fehldiagnose bei Verhaltensauffälligkeiten in der Schule
An dieser Stelle möchte ich auf ein wichtiges Thema eingehen, welches in Verbindung mit Verhaltensauffälligkeiten steht. Es ist das Thema der Fehldiagnosen, auf die ich in diesem Blogartikel näher eingehe. An dieser Stelle möchte ich dir ein paar praktische Beispiele geben, um die Problematik zu verdeutlichen. Diese sind sicher interessant, wenn du ein solches Kind in der Familie oder in der Schule betreust.
Doch zunächst eine Frage. Wenn du an ein hochbegabtes Kind denkst, was kommt dir sofort in den Kopf? Dass es bestimmt Schach spielt oder ein Instrument bis zur Perfektion? Dass es möglicherweise so schlau ist, dass es mit 14 Physik studieren könnte? Dass es garantiert leicht durchs Leben kommt und nie Probleme haben wird? Auch nicht in der Schule?
Die vielen Gesichter von Hochbegabung
Das ist leider der Glaube, der durch reißerische Zeitungsartikel gesät wird. Oder hast du schon einmal von einem Hochbegabten gehört, der ohne Schulabschluss dasteht? Der die Schule verweigert, weil er es nicht mehr aushält? Der als Erwachsener sein Leben nicht auf die Reihe bekommt, weil er einfach keinen Antrieb hat? Weil ihm der Ehrgeiz fehlt und sich mit Hilfsjobs über Wasser hält? Das ist die andere Seite der Hochbegabten-Medaille. Und oft genug beginnt sie mit Verhaltensauffälligkeiten in der Schule.
3 spezielle Beispiele für Verhaltensauffälligkeiten von Hochbegabung
Wenn ein Kind die Hausaufgaben verweigert oder wütend Löcher in die Hefte bohrt, weil es schneller vorankommen will, denkst du da an Hochbegabung? Oder eher daran, dass es sich schlecht konzentrieren kann und seine Impulse nicht unter Kontrolle hat.
Wenn ein Kind ein unkonventionelles und nonkonformes Verhalten an den Tag legt und Regeln nicht befolgt, ist es dann naheliegend, dass es eine Impulskontrollstörung oder ADHS haben könnte?
Wenn ein Kind eine hohe Energie zeigt, dadurch den Unterricht stört, weil es nicht stillsitzen kann, denkst du möglicherweise auch direkt an ADHS, oder? Auch wenn es sehr kreativ ist und ständig neue Ideen hervorbringt.
Das sind nur drei ausgewählte Beispiele von ADHS-Symptomen, hinter denen aber auch eine Hochbegabung stecken kann. Gerade wenn Kinder im Unterricht unterfordert sind, können sie verhaltensauffällig werden.
Typische Verhaltensweisen von hochbegabten Kindern sind auch folgende:
Das Kind weigert sich, Wiederholungen zu machen und reagiert wütend darauf. Dahinter steckt, dass es bereits aufgrund seiner schnellen Auffassungsgabe den Unterrichtsstoff kann und gerne zum nächsten Thema gehen würde. Ein typisches Beispiel dafür ist das Üben eines Buchstabens durch das Schreiben von zwei Seiten. Es verweigert nach einer Zeile, weil es gerne den nächsten lernen würde und versteht nicht, warum es warten muss.
Das Kind lernt kein 1 x 1. Als Lehrkraft hast du bereits alles versucht und auch die Eltern haben ihre Kreativität ausgeschöpft. Die vermutete Konzentrationsunfähigkeit erklärt das Kind aber damit, dass es sich die Rechnungen leicht herleiten kann. Das Auswendiglernen macht für ihn keinen Sinn und es geht daher in die Verweigerung.
Das Kind möchte gerne schwere Aufgaben lösen, doch es bekommt erst einmal die leichten. Die Lehrkraft ist der Meinung, dass es zunächst diese lösen soll, bevor es die schweren bekommt. Das Vertrauen in das Kind, dass es bei schweren Aufgaben besser funktioniert, weil es eine willkommene Herausforderung ist, fehlt. Stattdessen denken viele, dass die schweren Aufgaben nicht gelöst werden können, wenn das Kind die einfachen noch nicht einmal bewältigen kann. Ein Trugschluss, das Kind wird wieder die einfachen Aufgaben verweigern.
Den Ursprung von Verhaltensauffälligkeiten in der Schule suchen
Es ist immer wichtig, genau zu schauen, was hinter Verhaltensauffälligkeiten steht. Ich empfehle stets, einen ganzheitlichen Blick auf diese Schülerinnen und Schüler vorzunehmen, am besten gemeinsam mit den Eltern. Denn diese können berichten, wie sich das Kind zu Hause verhält. Wo die Interessen liegen, womit es sich beschäftigt, ob es dort hochleistet und welche kreativen Ideen es entwickelt.
Hier könntest du ein wichtiges Indiz finden, dass das Kind aufgrund seiner hohen Begabung die Auffälligkeiten zeigt. Natürlich sind auch Doppeldiagnosen möglich, aber der Grat für eine Fehldiagnose ist sehr schmal. Vor allem kann eine psychische Störung wie ADHS oder auch eine Autismus Spektrum Störung eine Hochbegabung maskieren. Ich empfehle dir die Lektüre der Seite von Frauke Niehues „Können macht Spaß“, dort findest du weiterführende Infos dazu.
Vermeidungshaltung und Schulverweigerung in der Mittelstufe
Unternehmen wir eine Zeitreise und begleiten das hochbegabte Kind in die Mittelstufe. Während es in der Grundschule aufgrund der hohen Begabung trotzdem seine Leistungen zeigen konnte, sieht es möglicherweise in der Mittelstufe schon anders aus. Es ist tatsächlich so, dass die meisten hochbegabten Kinder in der 7. und 8. Klasse einen starken Einbruch haben. Einige beginnen die Schule zu vermeiden, kommen zu spät oder sind öfter krank.
Und dann gibt es noch die Schülerinnen und Schüler, die letztendlich den Schulbesuch verweigern. Verhaltensauffälligkeiten und Schulverweigerung bei Hochbegabten zeigen hier ihre Vollendung. Nicht, weil sie faul sind, keinen Bock mehr haben oder etwas Besseres mit ihrer Zeit anstellen wollen. Sondern weil sie nicht mehr können und aufgegeben haben. Weil der Frust und die Resignation zu groß geworden sind. Sie halten es nicht mehr aus und können nicht mehr die Schule besuchen.
Verhaltensauffälligkeiten und Schulverweigerung bei Hochbegabten
Wie ich in meinem Buch geschrieben habe, drückte sich unser 15-jähriger Sohn so aus: „Ich will ja in die Schule, aber ich kann nicht mehr“. Darüber liest du in meinem Buch „Hochbegabt gescheitert – und neue Türen öffnen sich“. Dieser Satz und der damit verbundene Zusammenbruch war der Beginn einer zweijährigen Schulverweigerung.
Das Buch ist bei Amazon - oder im Buchhandel erhältlich: ISBN 978-3982620169
Doppeldiagnose, ADHS, Hochbegabung – oder doch alles ganz anders?
Wir waren immer davon überzeugt, dass unser Sohn ADHS hat. Erst mit 16 Jahren wurde die Hochbegabung in einer Begabungsdiagnostik festgestellt. Als er mit 17 Jahren erneut einem Kinder- und Jugendpsychologen vorgestellt wurde, erhielten wir eine interessante Meinung zu dem Thema. Er testete ihn auf ADHS, Autismus Spektrum Störung (ASS) und sogar auf Depression. Alle Tests zeigten ein unauffälliges Ergebnis. Doch das Begabungsprofil sprach für den Arzt Bände. Ein Teilwert kratzte an der Höchstbegabung, während die anderen Werte im überdurchschnittlichen Bereich lagen. Er schlussfolgerte, dass das heterogene Begabungsprofil unseres Sohnes die Ursache dafür sei, dass er so reagiere, als hätte er ADHS, ASS oder Depression. Da könne man nichts machen, damit müsse er lernen zu leben.
Diagnosen bei Verhaltensauffälligkeiten und Schulverweigerung bei Hochbegabten
Du stehst als Mutter nach so vielen Jahren mit offenem Mund staunend davor. Denn diese Erklärung machte für mich großen Sinn. Es veranschaulicht darüber hinaus schmerzhaft die Gefahr von Fehldiagnosen. Was hätte anders laufen können, wenn die Hochbegabung im Fokus gestanden hätte und unser Sohn entsprechend gefördert worden wäre? Letztendlich weiß ich nicht mehr, was ich noch glauben soll. Hatte er nun ADHS? Oder war es „nur“ die besondere Begabung, die ihn so verhaltensauffällig sein und die Schule verweigern ließen?
Ich denke, es ist nahezu egal, welches Prädikat das Kind bekommt. Eine Diagnose ist wichtig, ja. Sie liefert eine Grundlage für die weiteren Schritte und auch für das Kind kann es hilfreich sein zu wissen, was mit ihm los ist. Denn diese neurodivergenten Kinder fühlen sich oft nicht zugehörig und falsch. Wenn sie einen Grund bzw. einen Namen haben, können sie leichter damit umgehen. Doch dann muss es irgendwann dazu kommen, dass jedes Kind in seiner Einzigartigkeit und in seinem Anderssein angenommen wird und alle Möglichkeiten erhält, um den Schulbesuch gut meistern zu können.
Hochbegabte Kinder im Schulsystem können es schwer haben
Hier ist das Schulsystem gefragt, sich zu verändern und zu öffnen. Große Klassen, volle Lehrpläne, wenig Zeit und Lehrkräftemangel versperren den Weg zu echten Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schülern. In einem traditionellen System bleibt wenig Raum für solche Kinder.
Das spüren sämtliche Beteiligten auf schmerzliche Art und Weise. Die Eltern, wenn sie zusehen müssen, wie ihr Kind scheitert, obwohl es so clever ist. Die Lehrkräfte, wenn sie an die Grenzen kommen, so ein Kind bestmöglich zu unterstützen. Und die Kinder selbst, die wenig Selbstvertrauen aufbauen und kaum Selbstwirksamkeit erleben, weil sie ständig anecken, sich anders fühlen und schließlich resignieren.
Ich hoffe, ich konnte dir einen kleinen Einblick in das Thema Verhaltensauffälligkeiten und Schulverweigerung bei Hochbegabten geben. Wenn dich das Thema interessiert, ist in diesem Zusammenhang meine kleine Blogserie interessant: „Wie lernen hochbegabte Kinder im Schulsystem am besten?“.
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Susanne Burzel führt seit über 12 Jahren ihre eigene Werbeagentur und profitiert von einer vielfältigen Erfahrung (Grundschullehramt, Diskothek, Werbekauffrau, Dipl. Betriebswirtin, Dirigentin, Autorin, Podcasterin). Sie entdeckte ihre eigene Hochbegabung erst vor kurzer Zeit. Sie bloggt auf dieser Seite über Hochbegabung und Selfpublishing.
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