Weißt du, wie froh ich bin, dass Stefan Ruppaner endlich in Rente ist? Er war viele Jahre Schulleiter an der Alemannenschule Wutöschingen und hat Außerordentliches bewirkt. Ich bin aus dem Grund so froh, weil Stefan nun viel Zeit hat, sein Buch „Das könnte Schule machen“ sowie seine Schmetterlingspädagogik in die Welt zu tragen und sein Institut für Schmetterlingspädagogik aufzubauen. Und das, obwohl seine Botschaft bereits seit geraumer Zeit Flügel hat, u. a. durch den öffentlichkeitswirksamen und verdienten Schulpreis 2019 für die Alemannenschule Wutöschingen.
In diesem Artikel gehe ich auf ein erstes persönliches Treffen mit Stefan ein, welches mich nachhaltig beeindruckt hat. Du erfährst, warum mich das Buch sehr berührt hat und was wir alle von Stefan lernen können. Abschließend gehe ich auf die Frage ein, ob die Schmetterlingspädagogik ein geeigneter Raum für hochbegabte und sehr gut begabte Kinder ist und wie sie davon profitieren können.
Der Visionär und Macher Stefan Ruppaner
Stefan ist ein Pfundskerl. Ein treffenderes Wort fällt mir nicht ein, und ich hoffe, Stefan ist mir nicht böse, wenn er das liest. Ich habe ihn erst ein einziges Mal persönlich getroffen, und zwar auf dem Bildungsforum vision@schule in Wetzlar. In Wahrheit verfolgte ich ihn auf dem Weg nach einer Keynote von der Turnhalle in die Aula, zwei Bücher entschlossen unter den Arm geklemmt. Eins davon war seins, welches ich in diesem Artikel vorstelle.

Damals im März hatte ich wenigstens die ersten zwölf Seiten in dem frisch bestellten Buch gelesen und hatte eine kleine Vorstellung davon, was mich erwarten würde. Ich atmete also durch, stellte mich neben Stefan in der Aula an einen Stehtisch und wartete geduldig, bis zwei Lehrerinnen ihre Signatur erstanden hatten. Dann wandte er sich mir zu und schaute mich erwartungsvoll mit seinen wachen und freundlichen blauen Augen an. Bevor ich ihn um seine Signatur bat, überreichte ich ihm zunächst mein Buch. Dieses hatte ich mit meiner Signatur bereits vorbereitet und schenkte es ihm.
Der Signatur-Tausch auf dem Bildungsforum vision@schule in Wetzlar
Er wirkte freudig überrascht, als er mein Buch in den Händen hielt. Wir unterhielten uns kurz und seine positive, fröhliche und nahbare Ausstrahlung überrumpelte mich nahezu. Sie erinnerte an jemanden, mit dem man gut Pferde stehlen könnte und fühlte sich irgendwie vertraut an. Ich legte ihm sein Buch hin und er signierte es. Wir tauschten uns kurz über das Schulsystem, das Wetzlarer Bildungsforum, seine Arbeit, seine Musikalität (wir beide spielen Querflöte und haben Banderfahrung) und seine Unterstützung der Friedrich Wilhelm Raiffeisen-Schule, die sich auch in Wetzlar befindet, aus.
Ich hätte ihn stundenlang befragen und ihm lauschen können, so sehr begeistert mich das Thema Schulentwicklung aus seinem Blick. Doch weitere Interessenten standen bereits bei uns, die verständlicherweise seine Aufmerksamkeit einforderten. Ich erlebte Stefan Ruppaner authentisch, engagiert, als Anpacker und Macher sowie als hartnäckigen und zielorientierten Visionär. Wenn man sich mit ihm unterhält spürt man, dass er stets im Sinne der Kinder und ihrer Zukunft handelt. Dazu betrachtet er Schule aus ihrem Blickwinkel. Sätze, wie „Unterricht ist aller Übel Anfang“ oder „Schule muss der schönste Ort im Dorf sein“ prägen ihn und seine Arbeit. Das alles macht ihn so liebenswert und seine Arbeit so außerordentlich wertvoll.

Das könnte Schule machen
Wie sehr liebe ich doppeldeutige Sätze:
- DAS könnte Schule machen, oder
- Das KÖNNTE Schule machen, oder
- Das könnte SCHULE machen, oder
- Das könnte Schule MACHEN.
Sicher gibt es zu dieser Wortspiel-Technik auch einen Fachbegriff. Das ist wie mit dem Satz „Einfach machen“. Ich finde, alle vier Betonungen passen perfekt zum Inhalt dieses fantastischen Buchs. Wie immer vor einer Buchbesprechung auf meinem Blog habe ich mir eine Handvoll Notizen gemacht, die ich stets im vorderen Teil des Buchs auf größeren Post its sammele.
Stefan nahm mich auf meiner Leserreise mit seiner Geschichte mit in seinen Prozess der Schulentwicklung. Vom ersten Impuls bis hin zur Entwicklung seiner Schmetterlingspädagogik. Am Anfang stand ein Film, den er durch Zufall im Fernsehen sah und der ihn nicht mehr losgelassen hat. Ich selbst glaube nicht an Zufälle, sondern daran, dass einem das zufällt, was gerade dran ist. Wunderbar, dass er in diesem Moment ein offenes Ohr und Auge dafür hatte.
Sein Gamechanger-Moment mit Reinhard Kahl
Stefan spricht von den „Heiligtümern der Gesellschaft“ (Seite 24), wenn es um Bildung geht: 45 Minuten-Stunden, Lehrplan, feste Klassengemeinschaften, Pausen, Klassenarbeiten, Bewertung durch Notengebung und vieles mehr. All das erleben wir als Schulkinder und erhalten das als künftige Lehrkräfte als Input in der Lehramtsausbildung. Es wird klar: Nicht nur Wissen reproduziert sich, sondern das ganze Schulsystem. Das erkannte er nach einer Dokumentation von Reinhard Kahl, die er zufällig im Fernsehen sah und ihn nicht mehr losließ.
Stefan bringt es in seinem Buch plakativ auf den Punkt und spricht die Ängste an, die einen überfallen, wenn man an diesem System ordentlich rüttelt. Wenn aber der Antrieb, etwas zu verändern, größer wird als die Ängste, dann entsteht Mut. Dass Lehrer Gastgeber, und Schule der schönste Ort des Dorfs sein sollte, hat ihn von Anfang an getragen.
Kleine Schritte in der Schulentwicklung
Es sind die kleinen Schritte zur Veränderung, die wichtig sind. Konzeptionell wie baulich, wie du in einem bebilderten Innenteil des Buchs eindrucksvoll entdecken kannst. Denn ebenso wenig, wie Rom an einem Tag erbaut wurde, hat Stefan die Alemannenschule im Handumdrehen zu dem gemacht, was sie heute ist. Bob Blume sprach auf dem Bildungsforum in Wetzlar treffenderweise vom „Kongress-Kater“. Also der Zustand, wenn gute Ideen innerhalb eines Kongresswochenendes im Kopf und im Bauch entstanden sind und kurz darauf die Konfrontation mit dem herkömmlichen Schulalltag passiert.
Das weiß auch Stefan. Denn er hat erkannt, dass vor allem kleine Schritte zum Erfolg führen. Eine Chronologie im Schlussteil des Buchs belegen dies. Glücklicherweise hatte er dank seiner Überzeugungskraft und Hartnäckigkeit mit dem Bürgermeister von Wutöschingen von Anfang an einen starken Partner an seiner Seite. Beide haben bewiesen, wenn Politik und Schule zusammenarbeiten, dass etwas Wunderbares entstehen kann.
„Das klappt mit unseren Kindern nicht“
Stefan erzählt in seinem Buch auch von sorgenvollen Einwänden seitens der Elternschaft. Die Überzeugung, dass Lernen nur mit Druck und Disziplin erfolgen kann, knüpft an die eigenen Erfahrungen an, die heutige Erwachsene selbst in der Schule gemacht haben. Doch Stefan holte Eltern sowie Lehrkräfte früh ins Boot und erhielt einen Vertrauensvorschuss. Manch einer muss überrascht darüber gewesen sein, dass Kinder sehr wohl selbst nach Input fragen und das Lernen einfordern.
Als weiteren starken und professionellen Partner holte sich Stefan Peter Fratton, einen bekannten Schulentwickler für selbstreguliertes Lernen aus der Schweiz, ins Boot. Mit humorvollen Worten und einem augenzwinkernden Erzählstil beschreibt Stefan die ersten Begegnungen und die weitere Zusammenarbeit. Der Leser kann nachfühlen, welche Berge hier bewegt wurden. Frattons Motto: „Eine kindgerechte Schule statt schulgerechte Kinder“ (Seite 81) überzeugte im Prozess letztendlich alle Mitwirkenden.
Ein echter Schreibstil, der begeistert und mitfühlen lässt
Stefan hat mich in seinem Buch mit seiner Echtheit, Nahbarkeit und seinem humorvollen Schreibstil berührt. Er berichtet vom Neid benachbarter Schulen, die seine Schulentwicklung mit Argusaugen beobachteten und sogar anfeindeten. Von seinen Ängsten und Widerständen gegenüber Institutionen, denen er im Prozess oft machtlos ausgesetzt war. Er muss über ein stark ausgeprägtes Growth-Mindset verfügen, welches ihn trotzdem immer weiter machen lässt.
Sein stärkster Antrieb war stets der Wille, Wohlbefinden für alle Beteiligten in seiner Schule zu fördern und eigenständige, selbstverantwortliche Persönlichkeiten hervorzubringen. Belohnt wurden er und sein Team schließlich mit dem Deutschen Schulpreis 2019. Neben der Schmetterlingspädagogik steht heute ein wachsendes Materialnetzwerk für viele Schule zur Verfügung.

Passt so ein Schulkonzept auch für Hochbegabte?
Ich würde keinen Hochbegabten-Blog schreiben, wenn ich nicht auf die Eignung der Schmetterlingspädagogik für Hochbegabte eingehen würde. Meine kurze Einschätzung dazu: Es gibt kein besseres Konzept für hochbegabte Kinder. Dank dem individualisierten Lernen entscheiden die Schülerinnen und Schüler selbst, wie tief, auf welche Art und Weise, zu welcher Zeit und in welcher Form sie an den Lernstoff herangehen. Diese Freiheit kommt Hochbegabten grundsätzlich entgegen, da sie einen inneren Drang zum Lernen haben. Wird dieser nicht erfüllt oder ausgebremst, erfolgt Resignation und sie können in ein Underachievement rutschen.
Hochbegabte und sehr gut begabte Kinder können in so einer Schule Hilfestellungen seitens der Lehrkräfte einfordern, wann immer sie diese benötigen. Dass sie die Themen in ihrem eigenen raschen Tempo bearbeiten und auf für sie unnötige Wiederholungen verzichten dürfen, ist für sie eine große Hilfe, die ihrer schnellen Auffassungsgabe geschuldet sind. Die Offenheit in der Nutzung der Lernmaterialien, der Praxisbezug sowie das fächerübergreifende Lernen lässt sie neue Ideen entwickeln und dockt an ihre Lösungsbegabung an.
Schülerinnen und Schüler können ihre Spezialinteressen ausleben und darin Punkte sammeln, wie Stefan es an Beispielen verdeutlicht. So erzählt er von einem Schüler, der zwischendurch in einer Hochschule Vorlesungen besucht oder von anderen, die ihr Hobby als Leistung anerkannt bekommen können. Jeder bekommt das Futter, was er braucht, und vieles wird ermöglicht.

Selbstreguliertes und selbstorganisiertes Lernen
Der Schulerfolg in so einem Lernkonzept, welches das selbstorganisierte Lernen mit dem handlungsorientierten Lernen durch Erleben verknüpft (Schmetterlingspädagogik) erfordert eine gewisse Selbstorganisation aber auch Selbstregulation. Mein Gedanke dazu ist, wenn Kinder die Fähigkeiten der Selbstregulation bereits möglichst früh in der Grundschule erlernen, werden sie in ihrer weiteren Schullaufbahn diesbezüglich keine Probleme haben.
Selbstregulation bedeutet nicht offenes Lernen und auf sich gestellt sein. Sondern das bewusste Wahrnehmen eigener Bedürfnisse und den Umgang damit. Die Schulleiterin Astrid Kalantzis bringt es in einer Podcast-Folge von „Die Bildungsbaustelle“ (Folge 2) auf den Punkt: „Selbstreguliertes Lernen heißt, sich selbst als lernenden Menschen kennenzulernen“.
Stärkung des Selbstwertes durch Beziehungsarbeit
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Beziehungsarbeit. Gerade hochbegabte Kinder mit einem mangelnden Selbstwert, einem fehlenden Zugehörigkeitsgefühl, einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn sowie einer hohen Sensibilität profitieren von Wertschätzung und Zugewandtheit.
Zudem stellt Stefan sich auf seiner eigenen Schulentwicklungsreise immer wieder der Frage: „Was soll Schule hervorbringen?“ Er spricht von „Kommunikationstalenten mit digitalem Know-how“ von „kritischen Köpfen, die kompetent mit Medien, Informationen, Fake News und den dazugehörigen Techniken umgehen können“ (Seite 204). Ebenso wagt er den Blick auf die Möglichkeiten von KI, die eine gute Ergänzung für die Wissensbasis und Expertise sind.
Unterrichtsabschaffung statt Unterrichtsentwicklung
Ich möchte meine Buchbesprechung mit einem Wortspiel enden. Stefan ruft dazu auf: „Schafft den Unterricht ab“. Ich sinniere schon länger über das Wort „Unterricht“. Darin stecken die beiden Worte: „unter“ und „richten“. Als ich kürzlich auf LinkedIn nach der Bedeutung von Mathetik fragte, antwortete mir Jörg Weisser: „Mathetik ist Lernen, das aufrichtet statt unterrichtet.“
Dieser Satz drückt bestens aus, was neue Schulkonzepte, besonders die Schmetterlingspädagogik von Stefan Ruppaner, vermögen zu erreichen. Ich hoffe, dass dies wirklich Schule macht. Ich bin aber zuversichtlich, denn Stefan ist ja jetzt in Rente. Danke für deine so wertvolle Arbeit und dein großartiges Buch, lieber Stefan.

Das könnte Schule machen: Wie ein engagierter Pädagoge unser Bildungssystem revolutioniert vpm Stefan Ruppaner
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