Beziehungsarbeit ist für den Autor Matthias Zeitler ein wesentlicher Schwerpunkt in seinem Lehreralltag. Dies ist speziell für Hochbegabte in der Schule ebenfalls höchst relevant. Daher widme ich mich in der heutigen Buchempfehlung dem Buch „Schule Backstage“ von Matthias Zeitler. Im Oktober 2024 durfte ich ihn bei der Buchmesse in Frankfurt persönlich kennenlernen. Nach einem kurzen Gespräch machten wir eine Signatur-Übergabe. Ich übergab ihm mein signiertes Buch und ließ mir seins signieren.

Dass dem Autor und Lehrer Kinder und besonders Jugendliche am Herzen liegen, beweist er regelmäßig in seinen Instagram-Beiträgen. Dort gibt er Einblicke in seine täglichen Herausforderungen. Sein Herz schlägt vor allem für die Werkrealschule, die es in Baden-Württemberg gibt und in anderen Bundesländern der Hauptschule entspricht. Warum diese Schulform erhaltenswert ist und warum Wertschätzung in der Schule so wichtig ist, erfährst du jetzt.
Ein Blick hinter die Kulissen von Schule
Bevor Matthias konkrete Empfehlungen und Tipps für Eltern gibt, nimmt er den Leser direkt mit in den Backstage-Bereich von Schule. Schon das einfühlsame Vorwort von Saskia Niechzial, ebenfalls Bildungsinfluencerin und Autorin, motivierte mich noch mehr dazu, die Schätze dieses Buchs zu entdecken.
Das Kennenlernen des Backstage-Bereichs Schule ist eine wichtige Voraussetzung, um zu verstehen, welchen Herausforderungen Lehrkräfte, Eltern und Schüler aktuell ausgesetzt sind. Es handelt sich hier um ein großes, orchestriertes System, welches in den vielen Jahrzehnten der Schulpflicht gewachsen und teilweise erstarrt ist.
Schulentwicklung versus Schule heute
Schule orientiert sich an einem Gesellschaftsbild, welches sich heute längst weiterentwickelt hat. Also bewegen wir uns zwischen engagierten Schulentwicklungsmaßnahmen einzelner Lehrkräfte und dem traditionellen Bild von Schule, an dem heute noch viele Beteiligte festhalten. Oder anderes gesagt: Das Schulsystem steht starr wie ein Fels in der Brandung, während das Wasser Mühe hat, den Stein zu formen.
Matthias beschreibt das Schulsystem als träge und mit starren Hierarchien, der Dienstweg ist komplex und für Eltern oft schwer nachzuvollziehen. Dennoch lädt er dazu ein, den Spielraum innerhalb der Schule zu nutzen, der trotz allem vorhanden ist. Das sei auch nötig, denn Schüler reagieren mit Effizienz auf ein veraltetes System, um möglichst geräuschlos durchzukommen. Die Freude am Lernen spiele eine untergeordnete Rolle. Das Durchkommen sei eine „Überlebensstrategie“. (Seite 12)
Die Herausforderungen im Schulsystem sind immens
Auf Inklusion, Notendruck, Neurodivergenzen, Superdiversität in Migration, Anforderungen des Arbeitsmarktes, Digitalisierung und vieles mehr geht der Autor in den ersten Kapiteln ausführlich ein. Damit malt er ein anspruchsvoll-vielfältiges Bild von Schule, welches bedient werden muss. Matthias diskutiert unter anderem einen späteren Unterrichtsbeginn sowie die Anforderungen der Wahl der weiterführenden Schulen nach der 4. Klasse.
Letztendlich geht es dabei immer nur um eine Sache: Um das Kind bzw. um den Jugendlichen. Matthias sieht sich selbst als „Wegbegleiter für Jugendliche“ (Seite 9). Und begleiten heißt wertschätzen. Seine Ausführungen und seine Werte sollten uns Mut machen, denn das ist eine Basis, die wir alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, leicht umsetzen können.
Wertvolle Tipps für Eltern aus Lehrersicht
Jugendliche sind auf dem Weg ins Erwachsenenleben, in die Selbstständigkeit und wie bei ihm im Fall der Werkrealschule ins Berufsleben. In seinen Ausführungen bringt Matthias seine wertvolle Lehrersicht an den Lesenden, die immer zugewandt und wertschätzend ist. Er kennt den Leistungsdruck von Schülern und auf der anderen Seite die Ängste der Eltern. Der Schulalltag bewegt sich zusätzlich im ständigen Konflikt zwischen Schulnoten und dem Erlenen von Kompetenzen.

Fit fürs Leben und für den Beruf
Das wichtigste Anliegen von Matthias ist, dass die Jugendlichen gemeinsam mit Eltern und Lehrkräften fit fürs Leben gemacht werden. Ebenso wichtig für ihn ist die Beziehungsarbeit. Es ist nun einmal so, dass sich unsere Kinder in der Schule oft von einer anderen Seite zeigen. Lehrkräfte werden zu Verbündeten, wenn das Gespräch mit den Eltern Angst macht.
An konkreten Beispielen aus der Praxis zeigt Matthias, welche Situationen dabei entstehen können. Er spricht davon, dass viele Schüler einen „Rucksack“ mit in die Schule bringen und ihn dort auskippen. Weil sie es zuhause nicht wollen oder können. Hier sensibilisiert Matthias den Blick dafür und gibt seine Haltung bezüglich Konsequenzen oder Strafen weiter. Das wichtigste Signal, welches Jugendliche bekommen können ist: „Ich sehe dich“.
Von Mobbing, Hausaufgaben und Medien
Im zweiten Teil des Buchs geht Matthias genauer auf viele Themen ein, die Familien und Jugendliche besonders beschäftigen. Es geht um die Konfliktbewältigung in der herausfordernden Pubertätszeit, was vor allem die Themen Hausaufgaben aber auch Mediennutzung betrifft.
Es geht immer darum, eine andere Perspektive einzunehmen, um eine wertschätzende, zugewandte, aber auch humorvolle Kommunikation zwischen den Generationen zu ermöglichen. Und es geht um das echte Interesse am Gegenüber. Warum nicht mal gemeinsam am PC zocken?

Ein Plädoyer für Hauptschulen bzw. Werkrealschulen
Zum Schluss stellt Matthias die Frage: „Was soll Schule können?“ (Seite 169) Der Blick fällt direkt auf das Erreichen von Schulabschlüssen – je höher, desto besser. Dass aber auch ein Hauptschulabschluss ein großer Erfolg ist und viele Jugendliche in der Werkrealschule genau am richtigen Ort sind, wird oft ignoriert. Das sieht man an der Diskussion, dass immer mehr Hauptschulen geschlossen werden sollen. Ich selbst finde, das ist ein fatales Signal.
Denn jedes Kind, jeder Jugendliche leistet außerordentliches. Jeder auf seinem eigenen Niveau und nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Potenzialen. Aus diesem Grund sollte die Diskussion um die Wertigkeit der Abschlüsse aufhören. Mittlerweile gibt es Signale aus der Unternehmenswelt, dass weniger auf Noten und Abschlüsse geachtet wird, sondern auf Engagement, Motivation und Interesse des Auszubildenden. Das ist eine gute Entwicklung.
Warum dieses Buch für Eltern von Hochbegabten interessant ist
Matthias Zeitler setzt sich in seiner ganzen Arbeit vor allem für Jugendliche in der Werkrealschule ein. Was also hat dies mit Hochbegabten zu tun, fragst du dich vielleicht. Ich sage, sehr viel, denn die gemeinsame Basis ist die Beziehungsarbeit. Zudem gehen alle Jugendliche durch die Pubertät und müssen sich später beruflich orientieren. Auch, wenn Hochbegabte oft andere Interessen haben und mit ganz eigenen Herausforderungen, wie Underachievement konfrontiert sind. Oder gerade deswegen.
Wie Hochbegabte von Beziehungsarbeit in der Schule profitieren
Der Satz „Ich sehe dich“ ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Er könnte als große Überschrift über allem stehen. Denn in ihm steckt Wertschätzung, Zugewandtheit, Vertrauen, Respekt und echtes Interesse. Wenn du meine Artikel im Blog gelesen hast, weißt du, dass genau das wichtig für Hochbegabte ist.
Ich erinnere mich an das Gespräch des Leiters der Förderschule für Hochbegabte mit unserem Sohn, ein halbes Jahr vor Aufnahme in dieser Schule. Er sagte unserem Sohn, wie er ist, was er für Herausforderungen hat und vieles mehr. Unser Sohn strahlte nach dem Gespräch und war glücklich – so hatte ich ihn lange nicht erlebt. Damals steckte er in der 2-jährigen Schulverweigerung. Was der Leiter ihn spüren ließ, war: „Ich sehe dich“.
Bedingungen für eine allseits gerechte Bildung
Matthias schreibt: „Wollen wir weiter eine Leistungsgesellschaft mit noch mehr elitären Bildungsabsolventen? Oder wollen wir möglichst alle Jugendlichen mit allen sozialen Hintergründen erreichen und Freude am Lernen vermitteln?“ (Seite 59). Die Anzahl der Abiturienten steigt: 1975 waren es 14,7 %, 2023 bereits 38,5 % mit Abitur. (Datenportal BMF) 1995 haben ca. 260.000 ein Studium begonnen, heute sind es fast doppelt so viele. (Datenportal BMF) Die Studienabbrecherquote liegt bei nahezu 30 %.
Diese Zahlen zeigen, wo der Trend hingeht, und es bleibt zu hoffen, dass er bald rückläufig wird. Eine allseits gerechte Bildung wird erreicht durch Freude am Lernen, mein Ziel zu kennen und die Sinnhaftigkeit hinter dem zu erkennen, was ich lerne. Da ist es logisch, dass es Schulformen mit unterschiedlichen Anspruchsniveaus braucht. Oder zumindest ein Setting, in dem alle ihre Potenziale individuell leben können, wie in der von Stefan Ruppaner umorganisierten Alemannenschule Wutöschingen.
Nicht jeder Hochbegabte muss studieren
Einmal in einem Gespräch in einer Physiotherapie erzählte ich, dass unser Sohn hochbegabt sei, Schulprobleme hatte und nun eine Handwerksausbildung zum Elektrotechniker mache. Die Augen, die mich anschauten, waren sehr groß: „Wie, er studiert nicht? Alle Hochbegabte studieren doch.“ Das ist ein Mythos zu Hochbegabung, der sich leider hartnäckig hält.
Es geht immer um das persönliche Interesse, um die Motivation und auch um die individuelle Begabung. Jeder ist in irgendetwas gut. Die Umsetzung der Konzepte in der Schule wie das Growth Mindset, welches Matthias anspricht, sind wichtige Hilfsmittel, damit Kinder und Jugendliche ihre Stärken selbst erkennen können.

Ein mangelndes Selbstwertgefühl aus unterschiedlichen Perspektiven
Pauschal gesagt liegen die Gründe für ein mangelndes Selbstwertgefühl der Jugendlichen, die eine Werkrealschule oder Hauptschule besuchen im Gefühl, von der Gesellschaft abgehängt zu sein. Es macht mich traurig, wenn einige von Matthias Jugendlichen geknickt sagen, dass ihr Abschluss wertlos sei, da ja überall Abitur verlangt wird.
Hochbegabte ecken mit ihrer Art an und haben das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Die negative Auswirkung auf das Selbstwertgefühl ist die gleiche, die Ursache individuell. Eine gute Beziehungsarbeit kann dies auffangen und die Jugendlichen von innen heraus stärken und sie Selbstwirksamkeit spüren lassen.
Was das Buch „Schule Backstage“ von Matthias Zeitler so besonders macht
In dem Buch „Schule Backstage“ von Matthias Zeitler geht es vor allem um die Beziehungsarbeit. Einmal zwischen Lehrkräften und Schüler, und zum anderen zwischen Eltern und ihren Kindern. Matthias gelingt damit ein einfühlsamer Schulterschluss zwischen dem Spannungsdreieck Schule – Elternhaus – Schüler. Matthias spricht dabei in seiner Rolle als Vertrauenslehrer, der ganz offen seine Mobbingerfahrungen thematisiert. Dieser Teil berührte mich besonders, da unser jüngerer Sohn in der Mittelstufe gemobbt wurde und ich im gleichen Alter ähnliche Erfahrungen machen musste.
Für eine gute Übersicht fasst Matthias die wichtigsten Punkte zusammen und hebt sie hervor. So kann der Leser oder die Leserin auch nach der Lektüre die Elterntipps schnell finden. Neben den erwähnten Beispielen aus der Praxis gibt er hilfreiche Tipps für die tiefergehende Beschäftigung mit den einzelnen Themen. Neben Zitaten im Innenteil des Buchs finden sich Links zu Podcasts, Apps, Websites und Literatur im Anhang, unter anderem zum Podcast „Die Schule brennt“ seines Kumpels Bob Blume.
Warum ich das Buch „Schule Backstage“ von Matthias Zeitler empfehle
Meine Buchempfehlungen nehmen stets Bezug auf Hochbegabte, da dies mein Herzensthema ist. Vielleicht stellst du dir die Frage, wie viele Hochbegabte eine Werkrealschule besuchen? Du wärst möglicherweise erstaunt, dass es sicher einige sind.
Untersuchungsergebnisse von Dipl.-Psych. Hella Schick zeigen, dass die „richtige“ Schulart für Hochbegabte weniger entscheidend ist als die Frage der gelungenen Passung. (Mehr dazu liest du in diesem Artikel). Tatsächlich gibt es viele Hochbegabte, die sich in Realschulen sehr wohlfühlen und danach begeistert ihre Ausbildung beginnen.
Genau dieser Punkt macht deutlich, dass Schule die Aufmerksamkeit auf andere Dinge als auf reine Wissensvermittlung lenken muss: Auf Wertschätzung und Beziehungsarbeit, auf die Stärkung der Kinder und auf das Erlernen von Kompetenzen. Ich bin sicher, dass sich in so einem System alle Kinder wohlfühlen und ihren Weg finden können, vor allem, wenn Eltern und Lehrkräfte an einem Strang ziehen. In diesem Buch findest du wertvolle Wegbegleiter dorthin.

Schule Backstage von Matthias Zeitler - Was Jugendliche und Schule wirklich brauchen und wie Eltern sie dabei unterstützen können.
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