Um Hochbegabung ranken sich viele Mythen. Wir denken oft direkt an große Persönlichkeiten, wie Albert Einstein oder Marie Curie. Oder uns fallen die spektakulären Überschriften in Zeitungen ein, die von hochbegabten Kindern erzählen, die mit 14 Jahren bereits Physik studieren. Diese Geschichten prägen unsere Vorstellungen von Hochbegabung. Aus diesem Grund widme ich mich dem Thema: Die 9 größten Mythen über Hochbegabung - und was wirklich stimmt. Denn die wahren Hintergründe gelangen selten in die Öffentlichkeit. Das darf sich ändern, also legen wir los.

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Mythos 1: Hochbegabte sind in allem gut
Viele glauben, wenn du hochbegabt bist, fallen dir alle Dinge leicht. Du kannst schnell Sprachen lernen, Musikinstrumente lernen, sportliche Höchstleistungen erbringen oder bist in der Schule ein wandelndes Lexikon. Du kommst gut durchs Leben und erbringst ständig Bestleistungen und hast ständig großartige Ideen. Aber ist dem wirklich so?
Die Realität: Hochbegabung ist nur ein Potenzial
Hochbegabte sind wie alle anderen mit individuellen Stärken ausgestattet. Bei dem einen liegen sie im technischen Bereich, bei dem anderen im musischen oder im sprachlichen. Was jeder aus seinen Stärken macht, ist entscheidend. So ist es auch bei Hochbegabung, denn Hochbegabung ist letztendlich nur ein Potenzial, welches genutzt werden möchte.
Hochbegabte Menschen denken anders. Sie möchten den Dingen auf den Grund gehen und lernen lösungsorientiert. Womit sie sich beschäftigen, muss einen Sinn für sie ergeben, daher scheuen viele Smalltalk. Wiederholungen lehnen sie ab, da sie über eine schnelle Auffassungsgabe verfügen und Übungen sind für sie anstrengend. In diesem Artikel gehe ich tiefer auf die Eigenschaften von Hochbegabten ein.
Mythos 2: Hochbegabte Kinder kommen in der Schule immer gut zurecht.
„Sei doch froh, dass dein Kind hochbegabt ist“, hören möglicherweise viele Eltern von hochbegabten Kindern. Vor allem dann, wenn es Probleme in der Schule zeigt, wird das Unverständnis der anderen umso größer. Im Zweifelsfall wird sogar die Hochbegabung angezweifelt und die Eltern belächelt. Auch von Lehrkräften, die seufzend berichten: „Sie glauben gar nicht, wie viele Eltern vehement behaupten, ihr Kind sei hochbegabt.“
Die Realität: Hochbegabte können sich in der Schule schwertun
Die meisten hochbegabten Kinder und Jugendliche kommen scheinbar ohne Probleme durch die Schule. Vor allem deshalb, weil sie sich gut anpassen können. Doch es gibt den kleinen Teil von Hochbegabten, die große Probleme in der Schule zeigen. Es kann sogar zu einer Schulverweigerung kommen. Laut der Marburger Studie von Detlef Rost fallen ca. 15 % der Hochbegabten in eine Underachiever-Problematik.
Underachievement bedeutet wörtlich übersetzt Minderleistung. Das bedeutet, es entsteht eine Diskrepanz zwischen dem kognitiven Leistungsvermögen und der tatsächlich erbrachten Leistung. Das kann zu Frust und im Folgenden zu einer Leistungsverweigerung führen. Was hinter einer Minderleistung steckt, erkläre ich in diesem Artikel.

Mythos 3: Hochbegabte sind sozial auffällig oder isoliert.
Hochbegabte Menschen werden oft als Einzelgänger und Nerds bezeichnet oder als Menschen mit exzentrischen Zügen wahrgenommen. Sie können durch ihr Verhalten anecken. Diese Meinung wird oft an berühmten Persönlichkeiten wie Elon Musk festgemacht, die durch ihr exzentrisches Verhalten auffallen und die sich schlecht in die Gesellschaft integrieren können.
Die Realität: Hochbegabte fühlen sich oft nicht zugehörig
Die meisten hochbegabten Menschen können ihr Anders-Sein und Anders-Denken aufgrund ihrer Anpassungsleistung sehr gut kaschieren. Sie verhalten sich sozial unauffällig und gut integriert. Anders sieht es mit dem Innenleben aus. Sie nehmen wahr, dass sie etwas von den anderen unterscheidet. Dazu kommt, dass viele dieser Menschen durchs Leben gehen, ohne von ihrer Hochbegabung zu wissen. Nach einer IQ-Testung zeigen sie sich oft erleichtert.
Besonders hochbegabte Jugendliche können unter ihrer Hochbegabung leiden. Sie interessieren sich beispielsweise für Psychologie oder Astrophysik, während ihre Klassenkameraden lieber Fußball spielen oder Motorrad fahren. Das kann dazu beitragen, dass sie sich abgrenzen. Manche reagieren auch mit sozialen Auffälligkeiten, wobei ich dies eher als Gesamteffekt aus dem Zusammenspiel von schulischem Frust und mangelndem Zugehörigkeitsgefühl sehe.
Mythos 4: Hochbegabte brauchen keine Förderung – sie schaffen alles von allein.
Viele denken, dass hochbegabte Menschen klug sind und alles wissen. Ihnen fällt alles zu und dadurch kommen sie leicht durch Schule und durchs Leben. Um sie braucht man sich daher keine Gedanken zu machen. Förderung und Hochbegabung werden von ihnen als zwei gegensätzliche Pole betrachtet, die sich voneinander abstoßen.
Die Realität: Auch Hochbegabte brauchen Strategien fürs Leben
Es ist so, dass viele Kinder in der Grundschule leicht durchkommen. Der Lernstoff fällt ihnen zu, sie brauchen kaum lernen. Doch das Erwachen kommt meist in der weiterführenden Schule, wenn Hochbegabte sich schulisches Wissen mühevoll aneignen müssen, welches nicht ihrem Interesse entspricht.
Das ist damit erklärbar, dass der Lernprozess immer einem bestimmten Muster folgt. Das Anspruchsniveau liegt stets ein wenig höher als das Können. Hat ein Schüler eine Aufgabe gemeistert, werden Glückshormone ausgeschüttet. Das stärkt die intrinsische Motivation, weiterzumachen. Fällt den Kindern aber alles zu und sie schütteln das Wissen quasi aus dem Ärmel, erleben sie diese Glücksgefühle nicht. Ein gefährlicher Nebeneffekt ist, dass sie keine Lernstrategien erwerben, die sie später in schwierigen Phasen anwenden können. Lies dazu auch meinen Artikel, in dem Studien dies belegen.
Mythos 5: Ein IQ-Test zeigt eindeutig, ob jemand hochbegabt ist.
Ein objektiver IQ-Test lügt nicht. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Intelligenz mit einem Gruppentest gemessen wird, wie er bei Mensa angewandt wird. Möglich ist auch ein Test im klinischen Setting, der im Rahmen einer ADHS-Diagnostik angewandt wird oder in einer Begabungsdiagnostik. Wo der Test stattfindet, ist ganz gleich. So einfach ist es aber nicht.
Die Realität: Es braucht mehr als nur einen IQ-Test
Es gibt unterschiedliche Faktoren, die zu einem objektiven Testergebnis führen. Zum einen muss die zu testende Person bereit sein, ihr volles Potenzial zu zeigen. Die Bereitschaft kann dafür in einem Gruppentest anders sein als in einem klinischen Setting oder in einer fachgerechten Begabungsdiagnostik. Wichtig ist, dass die testende Person darauf achtet, dass der Proband vor, währenddessen und nach dem Test gut aufgehoben ist und sich wohlfühlst. Nur dann ist er in der Lage, sein volles Potenzial zu zeigen.
Wichtig zu wissen ist auch, dass du deinen IQ-Test niemals nach oben beeinflussen kannst, wohl aber nach unten. Faktoren, wie der Anlass der Testung, das Wohlbefinden des Probanden, die Sympathie des Diagnostikers sowie ein angenehmes Umfeld sorgen für möglichst objektive Werte.

Mythos 6: Hochbegabung ist dasselbe wie Hochleistung.
Hochbegabte Menschen erbringen immer Höchstleistungen, das glauben viele. Eine getestete Hochbegabung sei stets ein Garant dafür. Diese Kinder haben es leicht in der Schule, machen Abitur und werden studieren. Später werden sie einen gut bezahlten Job haben und Karriere machen. Das wäre einfach, wenn es wahr wäre.
Die Realität: Hochbegabung kann auch Minderleistung nach sich ziehen
Vergleichst du einen normalbegabten Hochleister mit einem hochbegabten Minderleister, wird jeder darauf tippen, dass der Normalbegabte hochbegabt ist. Wie weiter oben beschrieben ist Hochbegabung erst einmal nur ein Potenzial, welches geweckt werden will. Dazu braucht es ein ideales Umfeld, eine gewisse Lernfreiheit und Förderung, damit eine Hochleistung in der Schule aber auch im Arbeitsleben daraus erwachsen kann.
Ich würde sogar noch weiter differenzieren wollen. Denn wenn Hochbegabte sich einem Thema widmen, welches sie restlos begeistert, werden sie automatisch zu Hochleistern. Müssen sie jedoch langweilige Aufgaben erledigen oder sich mit Themen beschäftigen, die ihnen nicht liegen, ist eine Verweigerung vorprogrammiert.
Mythos 7: Hochbegabte sind arrogant oder besserwisserisch.
Klugscheißer, Besserwisser oder Nerds sind gern verwendete Bezeichnungen, wenn es um Hochbegabte geht. Ebenfalls wird Hochbegabung oft mit Elite, einem arroganten Verhalten oder übertriebenem Ehrgeiz gleichgesetzt.
Die Realität: Hochbegabte sind auch nur Menschen
Das mag ein wenig flapsig klingen, doch darauf zu schließen, dass alle Hochbegabte wie im Mythos beschrieben sind, ist trügerisch. Zugegebenermaßen fallen sie durch ihre Andersartigkeit oft auf und können anecken. Die meisten mögen ungern belanglose Unterhaltungen und widmen sich gerne ihren Spezialthemen. Darüber möchten sie natürlich berichten.
Im Grunde genommen ist die individuelle Persönlichkeit eine Grundlage für das Verhalten. Und die kann wie bei allen anderen Menschen auch ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Es gibt introvertierte und extrovertierte Ausprägungen, Unsicherheiten und Selbstsicherheiten, Wissende und Unwissende und vieles mehr. Manche haben es einfach, sich an ihr soziales Umfeld anzupassen, andere handeln wiederum völlig nonkonform.

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Mythos 8: Hochbegabung führt automatisch zu beruflichem Erfolg.
Hochbegabte Menschen brauchen sich nicht anstrengen, der Erfolg fällt ihnen wie von selbst zu. Sie wissen alles und können alles. Egal in welchem Job, sie gehen ihren Weg. Hochbegabte machen immer Abitur und studieren, so erklimmen sie die Karriereleiter ganz leicht.
Die Realität: Viele Faktoren sind für beruflichen Erfolg verantwortlich
Wie mehrfach erwähnt ist Hochbegabung ein Potenzial, mehr erst einmal nicht. Es kommt auf viele weitere Faktoren an ob ein Hochbegabter sein Potenzial in Erfolg umwandeln kann. Neben der individuellen Persönlichkeit spielen die Erfahrungen und Prägungen eine große Rolle, mit welcher Selbstsicherheit und Anstrengungsbereitschaft ein Hochbegabter durchs Leben geht.
Weitere Faktoren sind die soziale Anpassungsfähigkeit und Kompetenzen, Team- und Konfliktfähigkeit, Durchhaltevermögen, Selbstregulation sowie Selbstorganisation. Die intrinsische Motivation ist ebenfalls ein wichtiger Antrieb für den beruflichen Erfolg, ebenso das Growth-Mindset. Zudem sind die äußeren Umstände und das Umfeld entscheidend, ob Hochbegabte ihr Potenzial vollumfänglich nutzen können.
Mythos 9: Jungen sind häufiger hochbegabt als Mädchen.
Jungs werden viel öfter auf Hochbegabung getestet als Mädchen. Zudem machen Männer öfter Karriere als Frauen, daher müssen sie begabter sein. Das sind Glaubenssätze, die durch Medien und die Öffentlichkeit genährt werden. Doch entsprechen sie der Realität?
Die Realität: Hochbegabte Mädchen sind weniger auffällig
Während Jungs bei Unterforderung und Langeweile oft mit Verhaltensauffälligkeiten reagieren, ziehen sich Mädchen in so einem Fall eher zurück. Bei Verhaltensauffälligkeiten denken viele zunächst an ein naheliegendes ADHS. Gelangen Jungs in die Diagnostik, wird eine Begabung ebenfalls mit einem IQ-Test getestet und eine Hochbegabung auf diese Weise entdeckt.
Dies ist bei hochbegabten Mädchen nicht der Fall. Sie leiden still und können psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchweh zeigen. Insgesamt fällt es ihnen leichter, sich besser in soziale Gefüge einzupassen. Das geht soweit, dass sie ihre Leistung und die Ergebnisse nach unten beeinflussen, weil sie in ihrer Peer Group nicht auffallen möchten. Sie flüchten dann oft in die Rolle derjenigen, die ihren Mitschülern hilft.

Die 9 größten Mythen über Hochbegabung - und was wirklich stimmt – ein Fazit
Du hast gesehen, dass es einige Mythen über Hochbegabung gibt. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere. Meine Lesungen beginne ich mit der Frage: „Stell dir vor, du gehst jetzt raus auf die Straße und fragst die Menschen, was sie über Hochbegabung denken.“ Manchen schmunzeln, da sie schon wissen, was dann kommen könnte. Andere überlegen, weil sie vielleicht selbst in den Mythen und Glaubenssätzen festhängen.
Daher finde ich es so wichtig, über das Thema Hochbegabung und Underachievement aufzuklären. Auch Themen, wie Fehldiagnosen bis hin zum idealen Schulsystem flankieren das Thema Hochbegabung. Viele Eltern, die am Anfang ihres Weges mit möglicherweise hochbegabten Kindern stehen wissen nicht, welche nächsten Schritte die richtigen sind. Daher sind sie auf Lehrkräfte und Fachleute angewiesen, die über diese Dinge Bescheid wissen sollten. Dieser Artikel: Die 9 größten Mythen über Hochbegabung soll dazu beitragen.
Selbst Fachleute tappen oft im Dunkeln
Wenn wir darauf vertrauen, dass Lehrkräfte die Signale von Verhaltensauffälligkeiten oder psychosomatischen Beschwerden immer richtig deuten und uns die richtigen Empfehlungen geben, so könnten wir enttäuscht werden. Nicht, weil sie es mutwillig tun, sondern weil sie es in ihrer Lehramtsausbildung schlichtweg nicht gelernt haben. Dies versuche ich mit meinen Angeboten, wie Lesungen oder Weiterbildungen für Lehrer sowie diesem Blog und der Teilnahme an Bildungskongressen zu durchbrechen. Daher freue ich mich über jede Weiterempfehlung von dir sowie das Teilen der Artikel.
